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Das Experiment ist eine essentielle Erkenntnisgewinnungsmethode der Naturwissenschaften. Eigenständiges Experimentieren erfordert zahlreiche Kompetenzen und wird als anspruchsvoller Problemlöseprozess betrachtet. Experimentelle Problemlösefähigkeit und damit verbundenes Wissenschaftsverständnis leisten einen wichtigen Beitrag zur naturwissenschaftlichen Grundbildung, sind jedoch bei vielen Lernenden nicht zufriedenstellend ausgeprägt. Fachdidaktische Forschung bemüht sich daher um die Verbesserung schulischer Lehr-Lernprozesse.
Seit Jahrzehnten werden in der naturwissenschaftsdidaktischen Unterrichtsforschung Konzepte zur Förderung experimenteller Kompetenzen entwickelt, implementiert und evaluiert. Dafür müssen Kompetenzmodelle postuliert und empirisch geprüft sowie Messverfahren und Testinstrumente zur Erfassung der Performanz entwickelt, erprobt, validiert und optimiert werden. Zahlreiche Studien bezeugen, wie hochkomplex das Zusammenspiel diverser Voraussetzungen und Faktoren ist, welche die Effektivität von Naturwissenschaftsunterricht zur Förderung experimenteller Problemlösefähigkeit beeinflussen. Diese Einflussgrößen sind auf ganz unterschiedlichen Ebenen verortet: individuelle Lernvoraussetzungen und Verarbeitungsprozesse der Schülerinnen und Schüler; Eigenschaften der Klasse, der Schule und des Soziotops; Unterrichtsmedien; Merkmale der Lehrkraft sowie Aspekte der Unterrichtsprozesse.
Inzwischen liegen zahlreiche Forschungserkenntnisse vor: (a) zur Bedeutung kognitiver, metakognitiver und affektiver Voraussetzungen und deren Entwicklungsverläufe, (b) zur Operationalisierung und Dimensionalität von Kompetenzkonstrukten, (c) zur Wirksamkeit von Treatments für spezielle Kompetenzen und (d) zur Bedeutung des moderaten Konstruktivismus für die Gestaltung erfolgreicher Lernumgebungen. Empirisch wurde hingegen u. a. kaum untersucht, (a) welche Chancen und Herausforderungen für die Förderung domänenübergreifender und -spezifischer experimenteller Kompetenzen mit der komplexen Domäne Ökologie verbunden sind, (b) wie sich anspruchsvolle Lernkontexte im Rahmen der Bildung für nachhaltige Entwicklung in dieser Domäne in der Orientierungsstufe auf verschiedene Zielkriterien auswirken, (c) ob Schulbücher und Lehrerhandreichungen die Kompetenzförderung gut unterstützen und (d) ob systemisches Denken für das Verständnis für externe Validität ökologischer Experimente vorteilhaft sein könnte; des Weiteren wurde (e) der Großteil von Interventionsstudien in Stichproben aus besonders leistungsstarken Versuchspersonen durchgeführt, was deren Übertragbarkeit auf Lernende mit anderen kognitiven Voraussetzungen relativiert.
In dieser Arbeit werden die Befunde einer quasiexperimentellen Interventionsstudie zur Förderung experimenteller Problemlösefähigkeit im Kontext ökologischer Bildung mit mehreren Experimentalgruppen in der 6. Klassenstufe an Realschulen in Baden-Württemberg sowie einer Analyse von Schulbüchern und Lehrerhandreichungen zum Fächerverbund „Naturwissenschaftliches Arbeiten“ der Orientierungsstufe in der aktuellen naturwissenschaftsdidaktischen Forschung verortet und in diesem Rahmen diskutiert.
Die zentralen Erträge der in den Einzelbeiträgen vorgestellten eigenen Studien um-fassen mehrere Erkenntnisse: dass (a) domänenübergreifende experimentelle Kompetenzen in den teilnehmenden Realschulklassen auch in einem anspruchsvollen Lernkontext bereits in der 6. Klassenstufe gefördert werden können, jedoch nur mit kleinem Effekt; (b) das domänennahe Verständnis für Kriterien der externen Validität trotz anschaulicher Beispiele und expliziter Reflexion nicht gefördert wurde, es aber Anhaltspunkte gibt, dass systemisches
Denken das Verständnis besser steigern könnte; (c) sich die Domäne „Ökologie“ zur Einführung grundlegender domänenübergreifender experimenteller Kompetenzen angesichts ihrer Komplexität und des für die Suche im Hypothesen- und Experimentraum, die Interpretation der Befunde und die Beurteilung von Validitätskriterien erforderlichen enormen Domänenwissens in der Orientierungsstufe nicht eignet; (d) Domänenwissen die Suche im Hypothesenraum begünstigt, jedoch für die untersuchten anderen, domänenübergreifenden experimentellen Kompetenzen ohne Belang ist; (e) Schulbücher und Lehrerhandreichungen für die Orientierungsstufe (Bildungsplan 2004) wenig Angebote und Impulse für eigenständiges Experimentieren sowie kaum inhaltliche und didaktisch-methodische Informationen zum Aufbau experimenteller Kompetenzen enthalten.
Als Perspektiven bzw. Implikationen für die Schulpraxis lassen sich aus den eigenen Forschungsarbeiten u. a. ableiten: (a) Gestaltung von Spiralcurricula zur kumulativen Förderung domänenübergreifender und domänenspezifischer experimenteller Kompetenzen; (b) Erarbeitung und Beurteilung von Validitätskriterien sowie Weiterentwicklung des Naturwissenschaftsverständnisses anhand der Domäne Ökologie in höheren Klassenstufen; (c) Schwerpunktsetzung auf der Ebene der Zielkriterien des Unterrichts, intensive Einübung jeder Kompetenz; (d) Reduktion der kognitiven Belastung aus eher nebensächlichen Treatmenteigenschaften, die z. T. kontextbedingt sind; (e) Gestaltung bzw. Auswahl von Schulbüchern und Lehrerhandreichungen mit ausführlichen, möglichst aktuellen didaktisch-methodischen Hinweisen, Informationen zur experimentellen Methode, wissenschaftsmethodischen Fähigkeiten und Strategien sowie Lerngelegenheiten für hands- und minds-on-Schülerexperimente.
Desiderate für die künftige naturwissenschaftsdidaktische Forschung betreffen u. a.
(a) die Optimierung des Designs der Interventionsstudie für differenziertere Analysen von
Gelingensbedingungen der Förderung experimenteller Problemlösefähigkeit, (b) die Weiterentwicklung von Tests sowie (c) die Untersuchung der neuen Generation von Schulbüchern und Lehrerhandreichungen: hinsichtlich Hinweisen, Lernangeboten und spiralcurricularer
Konzeption.
Schlüsselwörter: Experiment, Schülerexperiment, systemisches Denken, Kompetenzförderung, Cognitive Apprenticeship, Domäne, Ökologie, Lernkontext, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Interventionsstudie, Validität, Spiralcurriculum, Schulbuchanalyse.