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Hintergrund
Bei der vorliegenden kumulativen Dissertation handelt es sich um eine Interventionsforschung. Als solche ist sie eingebunden in ein innovatives, interprofessionelles Schmerzrehabilitationsprogramm, an welchem die Klinische Soziale Arbeit massgeblich beteiligt ist. Dieses Programm, das Berner ambulante interprofessionelle Rehabilitationsprogramm für Menschen mit chronischen Schmerzen (BAI), steht exemplarisch für die Rehabilitation als wichtiges Arbeitsfeld der Klinischen Sozialen Arbeit. Im Manteltext, der die vier unabhängigen Studien in einen thematischen und methodischen Zusammenhang einordnet, wird entsprechend in die Klinische Soziale Arbeit und in das der Arbeit zugrundeliegende Verständnis von Gesundheit, Evidenzbasierung und Arbeitsfähigkeit eingeführt, bevor das Phänomen chronischer Schmerz und das Berner Ambulante Interprofessionelle Rehabilitationsprogramm für Menschen mit chronischen Schmerzen (BAI) sowie die Evaluation komplexer Programme besprochen werden.
Ziele
Ziel der Dissertation ist es, einen Beitrag an die Evidenzbasierung der Klinischen Sozialen Arbeit und damit an die Verankerung der Profession im Gesundheitswesen zu leisten. Dadurch sollen Menschen, die von chronischen Schmerzen betroffen sind, zukünftig noch besser behandelt, ihre Teilhabemöglichkeiten (z.B. am Lebensbereich Arbeit) erweitert und ihre Fähigkeit zur gelingenderen Lebensführung bei chronischem Schmerz verbessert werden. Dazu wird in dieser Dissertation erstens die Frage nach Möglichkeiten der interventions- und gegenstandsangemessenen Erfassung von Arbeitsfähigkeit geklärt und zweitens die Bedeutung sozialer Kontextfaktoren für die Arbeitsfähigkeit bei chronischen Schmerzen untersucht.
Studie I beantwortet die Frage, welche existierenden deutschsprachigen Assessments zur Erfassung der Arbeitsfähigkeit bei Klientinnen und Klienten mit chronischen Erkrankungen zu validen Resultaten führen und praktikabel sind. Studie II untersucht die Frage, bei welchen Items eines bestimmten Instruments zur Erfassung der Arbeitsfähigkeit (dem iPCQ) Patient*innen in der deutschsprachigen Schweiz Probleme haben die Fragen, Erläuterungen und Anweisungen im intendierten Sinne zu verstehen, die für die Beantwortung der Items nötigen Informationen im Gedächtnis abzurufen, sich für eine Antwort zu entscheiden und zu antworten. Zudem untersucht sie, welcher Art die Probleme sind und was zu deren Behebung beitragen könnte. Studie III beantwortet die Frage, welche Kontextfaktoren sich aus der Perspektive von Menschen mit chronischen, muskuloskelettalen Schmerzen, die an einem interprofessionellen Rehabilitationsprogramm teilnehmen, auf eine Veränderung ihrer Arbeitsfähigkeit auswirken und wie es dazu kommt.
Studie IV untersucht schlussendlich, welche inklusions- und teilhabebezogenen sozialen Faktoren bei Menschen, die an chronischen Schmerzen leiden mit Produktivitätsverlust assoziiert sind.
Methoden
Diese Dissertation besteht aus vier methodisch eigenständigen Studien. Studie I ist eine systematische Literaturrecherche, bei der acht Datenbanken (Medline, CINAHL, PsycInfo, Cochrane HTA, DARE, CCMed, Sowiport und BASE) durchsucht wurden. Dabei wurden folgende Suchbegriffe verwendet: Assessment, Chronische Erkrankung, Arbeitsfähigkeit, Validität und Praktikabilität. Die dadurch gefundene Literatur wurde anhand inhaltlicher und qualitativer Kriterien überprüft und in die Studie ein- oder von ihr ausgeschlossen. Studie II ist eine qualitative Validierungsstudie. Im Rahmen dieser Studie haben wir kognitive Interviews mit Menschen mit chronischen Krankheiten und mit Fachpersonen durchgeführt und basierend auf der Framework-Methode analysiert. Studie III ist eine Realist Impact Evaluation, für welche problemzentrierte Interviews mit acht ehemaligen BAIAbsolvent* innen durchgeführt und mittels inhaltlich strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse nach Kuckartz ausgewertet wurden. Studie IV ist eine hierarchische Regressionsanalyse. Abhängige Variable war der Produktivitätsverlust gemessen mit dem iPCQ, unabhängige Variablen waren die Schmerzstärke sowie demographische und soziale Kontextfaktoren, die im Schmerzregister der Klinik erhoben werden.
Resultate
Studie I zeigte, dass grundsätzlich validierte und praktikable Instrumente zur Erhebung von Arbeitsfähigkeit in der Klinischen Sozialen Arbeit und der interprofessionellen Praxis und Forschung zur Verfügung stehen, dass aber im spezifischen Kontext sorgfältig geprüft werden muss, welches Instrument sich für die jeweiligen Ziele, Ansprüche, Klient*innengruppen und die zur Verfügung stehenden Ressourcen eignet und dass für einige der Instrumente weiterer Bedarf besteht, die verschiedenen Quellen der Validität für die Nutzung in einem bestimmten Kontext zu überprüfen.
Mit Studie II konnten die in der Forschungspraxis festgestellten Probleme bei der Nutzung des iPCQ in Bezug auf das Verständnis von Fragen und Anweisungen, den Abruf von Informationen aus dem
Gedächtnis, den Entscheidungsprozess und das Konstrukt bestätigt, neu aufgedeckt und erklärt werden. Sie können helfen, den iPCQ weiterzuentwickeln für die Nutzung bei Menschen mit chronischen
Erkrankungen und weitere Schritte zur Unterstützung der Validität der deutschen Version des iPCQ einzuleiten.
Die Resultate von Studie III können helfen, das komplexe Wechselwirkungsgeschehen zwischen sozialen Kontextfaktoren, Mechanismen und der Fähigkeit, nach einer Rehabilitation trotz Schmerzen am Lebensbereich Arbeit zu partizipieren, besser zu verstehen und Schmerzrehabilitationsprogramme darauf aufbauend weiterzuentwickeln. Die Studie hat gezeigt, dass soziale Kontextfaktoren und damit in Verbindung stehende Mechanismen die erreichbaren Outcomes eines komplexen, interprofessionellen Rehabilitationsprogramms nicht nur während der Intervention, sondern bereits vor Antritt und insbesondere auch in der Phase unmittelbar nach Ende der Intervention stark beeinflussen können.
Studie IV hat gezeigt, dass teilhabebezogene soziale Kontextfaktoren auch in unserem konkreten Sample von Menschen, die von chronischen Schmerzen betroffen sind in einem Zusammenhang stehen mit der Arbeitsfähigkeit.
Diskussion
Die Resultate der Studien I und II ergänzen die Resultate anderer Validierungsstudien zum iPCQ, indem sie insbesondere die Validitätsquellen «Antwortprozesse» und «Konsequenzen der Testung» für die Nutzung des iPCQ bei Menschen mit chronischen Krankheiten in der Schweiz und im deutschsprachigen Raum abdecken. Sie legen die Grundlage dafür, dass die Validität des Fragebogens weiter verbessert werden kann. Die aus den Ergebnissen abgeleiteten Vorschläge an die Entwickler*innen sind jedoch nicht als finale Empfehlungen, sondern als erster Schritt hin zu einer validierten deutschsprachigen Version des iPCQ für den Einsatz bei Menschen mit chronischen Krankheiten zu verstehen. Als nächstes kann nun eine sprachkompetente und -sensible Übersetzung des niederländischen Originalfragebogens ins Deutsche erfolgen. Ein weiterer Schritt kann dann in Anlehnung an Beatons Empfehlungen für transkulturelle Übersetzungen von Erhebungsinstrumenten (cross-cultural translations) die kritische Diskussion der Übersetzung in einer Expert*innengruppe sein, um die unterschiedlichen Versionen zu konsolidieren. Studie III hat generell bestätigt, dass chronischer Schmerz die für die Lebensführung zur Verfügung stehenden Gesamtressourcen eines Menschen derart einschränken kann, dass die Gefahr besteht, dass einige Lebensbereiche nicht mehr aktiv gestaltet oder gepflegt werden können. Der Wegfall dieser (oftmals regenerativen) Lebensbereiche kann zu einer Disbalance der gesamten Lebensführung führen, welche auch die Teilhabefähigkeit an (re)produktiven Lebensbereichen wie dem Lebensbereich Arbeit und Beschäftigung bedroht. Mit den Resultaten der Studien III und IV wurde bestätigt, dass der chronische Schmerz auch als soziales Phänomen zu begreifen, zu beschreiben und schlussendlich zu behandeln ist. Es hat sich gezeigt, dass chronischer Schmerz ein eigentlicher «Teilhabezerstörer» ist. Am chronischen Schmerz wird die Bedeutung der sozialen Dimension des biopsychosozialen Verständnisses von Gesundheit und Krankheit für das Individuum und die Gesellschaft deutlich.
Einleitung Während es im Rahmen der rehabilitativ-stationären Adipositas-Behandlung teilweise gelingt, die sportliche Aktivität, auch mithilfe von Nachsorgeprogrammen, längerfristig zu erhöhen, ändern sich das Ernährungsverhalten und auch Parameter wie die Gewichtsabnahme eher selten. Dies mag im Wesentlichen darin begründet sein, dass Ernährungsgewohnheiten zu den stabilsten Gewohnheiten zählen und hauptsächlich durch Essbedürfnisse bestimmt werden, die stark emotional, biographisch und kulturell geprägt sind. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass eine Handlungsabsicht allein nicht ausschlaggebend für eine Verhaltensänderung ist. Vielmehr müssen Störfaktoren wie alltägliche Versuchungen und Gewohnheiten oder unvorhergesehene Hindernisse berücksichtigt und in kluge Handlungsplanung umgesetzt werden. Daher scheint es sinnvoll, bei der Behandlung von Adipositas insbesondere Elemente aus der Ernährungspsychologie, Gesundheitspädagogik und Verhaltenstherapie viel stärker zu betonen als bisher üblich. Ein in diesem Gebiet verorteter Ansatz ist die Biographiearbeit, die als Voraussetzung für die nachhaltige Veränderung von Essgewohnheiten ein grundlegendes Verständnis des persönlichen Verhaltens in Zusammenhang mit der eigenen Essgeschichte vorsieht. Auf Basis dieser Erkenntnisse wurde ein Schulungsprogramm entwickelt, kurz BLUNA genannt, das auf biographischem Lernen basiert und zusätzlich neben Wissenselementen besonders die verbindliche Planung von Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten im Alltag beinhaltet. Dabei werden die Patienten angeleitet, anhand eines Ernährungstagebuches ausschließlich selbst ausgewählte Gewohnheiten und deren für ihren Alltag realistische Veränderung individuell zu erarbeiten und zu planen. Die BLUNA-Schulung besteht aus drei Gruppenschulungsseminaren während des Klinikaufenthalts sowie drei leitfadengestützten Nachsorgetelefonaten, die im Abstand von jeweils einem Monat nach dem stationären Aufenthalt durchgeführt werden. Im Rahmen der Seminare werden die Patienten bei der Bestimmung persönlicher konkreter Veränderungsziele angeleitet. Das Bestreben ist, die selbst bestimmten Vorhaben für vier Wochen zu verfolgen und deren Erfolg bzw. Misserfolg in den jeweiligen Telefonaten gemeinsam mit einem Therapeuten zu besprechen, um anschließend das weitere Vorgehen bis zum nächsten Kontakt festzulegen. Methode Um die Wirksamkeit der BLUNA-Schulung zu untersuchen, wurde eine kontrollierte prospektive Interventionsstudie an einer Rehabilitationsklinik durchgeführt. Die Kontrollgruppe (KG) n= 158 wurde von Oktober 2009 bis August 2010, die Interventionsgruppe (IG) n= 92 von Oktober 2010 bis Juni 2011 rekrutiert. Die KG nahm im Rahmen des in der Regel dreiwöchigen Klinikaufenthalts neben dem umfassenden therapeutischen Angebot der Klinik an einem üblichen Adipositas-Schulungsprogramm teil (zwei Seminarstunden). Bei der IG wurde letzteres durch das neue BLUNA-Schulungsprogramm ersetzt. Messparameter waren unter anderem die Zusammensetzung der Ernährung der Patienten, Körpergewicht und Bauchumfang, die zu Beginn (t0), am Ende (t1) und sechs Monate nach der Rehabilitation (t2) bestimmt wurden. Als Störfaktoren wurden, Alter, Geschlecht und die Reha-Erwartungen (FREM-17) erhoben. Es wurde zusätzlich eine Aufwandsabschätzung der telefonischen Nachsorge vorgenommen. Die Analysen erfolgten deskriptiv auf der Basis von Mittelwertvergleichen und Anteilswerten. Unterschiede in der Zusammensetzung der Ernährung oder der Veränderung der Körpermaße wurden mittels einfaktorieller Varianzanalyse auf statistische Signifikanz geprüft. Mögliche Einflussgrößen wurden mittels multifaktorieller Modelle bestimmt. Ergebnisse Nach drei Erhebungszeiträumen konnten n=63 der IG und n=76 der KG in die statistische Analyse eingeschlossen werden (Rücklauf: IG 70% bzw. KG 49,7%). Die Personen der Interventions- und der Kontrollgruppe waren mittleren Alters (55,3 Jahre (IG) bzw. 51,8 Jahre (KG), unterschieden sich jedoch hinsichtlich ihrer Geschlechterverteilung statistisch signifikant (61,9% Männer (IG) bzw. 76,6% Männer (KG), (p<0,05). Durchschnittlich betrug das Körpergewicht der Personen zum Zeitpunkt t0 103,1kg (IG) bzw. 108,9kg (KG), das mit einer Körpergröße von 1,75m (IG) bzw. 1,77m (KG) einem durchschnittlichen BMI von 33,8kg/m² (IG) bzw. 34,8kg/m² (KG) entspricht. Unter Berücksichtigung der Kovariate Geschlecht zeigten sich bezüglich der Veränderung der Körpermaße (u.a. Körpergewicht, Bauchumfang und BMI) keine Interventionseffekte. Beispielsweise konnten beide Gruppen zwar während des Klinikaufenthalts 3,0kg ± 2,9SD (IG) bzw. 3,7kg ± 2,4SD Gewicht verlieren und bis zum Zeitpunkt der Katamnese (t2) weitere 4,0kg ± 7,8SD bzw. 2,3kg ± 6,2SD. Jedoch waren diese Unterschiede nicht statistisch signifikant. Hinsichtlich der Ernährungsparameter zeigten sich konstante Werte zu den Messzeitpunkten t0 und t2 und ebenfalls kein Interventionseffekt. Die Erwartung an Erholung während der Rehabilitation erwies sich als Prädiktor für eine geringere Abnahme des Körpergewichts und des BMI in allen Messzeiträumen (t0-t1, t1-t2 und t0-t2). Gleichzeitig waren diese Erwartungen neben der Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit bei den Patienten durchschnittlich am stärksten ausgeprägt. Ferner erwiesen sich ein hohes Eingangskörpergewicht bzw. hoher BMI als starker Prädiktor für eine größere Gewichtsabnahme in allen Messzeiträumen. Diskussion und Ausblick Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass der hohe Grad an Individualisierung und der Fokus auf die persönlichen Essgewohnheiten der Patienten sowohl im Rahmen der Seminare in der Klinik als auch während der Nachsorgetelefonate nicht den erwarteten positiven Effekt auf die Zielparameter hatten. Das Ernährungstagebuch wurde während der Nachsorgemaßnahme nicht mehr genutzt. Ferner bildete sich heraus, dass die Ziele bzw. Vorhaben seitens der Patienten immer allgemeiner und unverbindlicher formuliert wurden. Hinsichtlich der Erwartungen an die Rehabilitation scheint, dass der Fokus der Rehabilitierenden auf Erholung möglicherweise einer aktiven und verbindlichen Änderung von Ernährungsgewohnheiten entgegenstand. Es ist zu überlegen, ob die Motivation und Veränderungsbereitschaft hinsichtlich der Ernährungsgewohnheiten vor bzw. zu Beginn der Rehabilitationsmaßnahme bestimmt werden sollte und wie ein Bewusstsein aller Beteiligten für eine aktivere Therapieatmosphäre nicht nur im Bereich „Ernährung“, sondern auch „Essen und Trinken“ erreicht werden könnte. Gleichzeitig unterstreichen die Ergebnisse der BLUNA-Studie einmal mehr, dass die Veränderung von Ernährungsgewohnheiten ein komplexer Prozess ist – insbesondere, wenn die Lebensverhältnisse weiterhin zugunsten der Nahrungsaufnahme und Bewegungsarmut ausgerichtet bleiben.