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Biographisches Lernen und personalisierte Nachsorge in der rehabilitativ-stationären Adipositastherapie – Die BLUNA Studie

Biographical learning and personalized after-care in the rehabilitative inpatient obesity treatment - The BLUNA study

  • Einleitung Während es im Rahmen der rehabilitativ-stationären Adipositas-Behandlung teilweise gelingt, die sportliche Aktivität, auch mithilfe von Nachsorgeprogrammen, längerfristig zu erhöhen, ändern sich das Ernährungsverhalten und auch Parameter wie die Gewichtsabnahme eher selten. Dies mag im Wesentlichen darin begründet sein, dass Ernährungsgewohnheiten zu den stabilsten Gewohnheiten zählen und hauptsächlich durch Essbedürfnisse bestimmt werden, die stark emotional, biographisch und kulturell geprägt sind. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass eine Handlungsabsicht allein nicht ausschlaggebend für eine Verhaltensänderung ist. Vielmehr müssen Störfaktoren wie alltägliche Versuchungen und Gewohnheiten oder unvorhergesehene Hindernisse berücksichtigt und in kluge Handlungsplanung umgesetzt werden. Daher scheint es sinnvoll, bei der Behandlung von Adipositas insbesondere Elemente aus der Ernährungspsychologie, Gesundheitspädagogik und Verhaltenstherapie viel stärker zu betonen als bisher üblich. Ein in diesem Gebiet verorteter Ansatz ist die Biographiearbeit, die als Voraussetzung für die nachhaltige Veränderung von Essgewohnheiten ein grundlegendes Verständnis des persönlichen Verhaltens in Zusammenhang mit der eigenen Essgeschichte vorsieht. Auf Basis dieser Erkenntnisse wurde ein Schulungsprogramm entwickelt, kurz BLUNA genannt, das auf biographischem Lernen basiert und zusätzlich neben Wissenselementen besonders die verbindliche Planung von Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten im Alltag beinhaltet. Dabei werden die Patienten angeleitet, anhand eines Ernährungstagebuches ausschließlich selbst ausgewählte Gewohnheiten und deren für ihren Alltag realistische Veränderung individuell zu erarbeiten und zu planen. Die BLUNA-Schulung besteht aus drei Gruppenschulungsseminaren während des Klinikaufenthalts sowie drei leitfadengestützten Nachsorgetelefonaten, die im Abstand von jeweils einem Monat nach dem stationären Aufenthalt durchgeführt werden. Im Rahmen der Seminare werden die Patienten bei der Bestimmung persönlicher konkreter Veränderungsziele angeleitet. Das Bestreben ist, die selbst bestimmten Vorhaben für vier Wochen zu verfolgen und deren Erfolg bzw. Misserfolg in den jeweiligen Telefonaten gemeinsam mit einem Therapeuten zu besprechen, um anschließend das weitere Vorgehen bis zum nächsten Kontakt festzulegen. Methode Um die Wirksamkeit der BLUNA-Schulung zu untersuchen, wurde eine kontrollierte prospektive Interventionsstudie an einer Rehabilitationsklinik durchgeführt. Die Kontrollgruppe (KG) n= 158 wurde von Oktober 2009 bis August 2010, die Interventionsgruppe (IG) n= 92 von Oktober 2010 bis Juni 2011 rekrutiert. Die KG nahm im Rahmen des in der Regel dreiwöchigen Klinikaufenthalts neben dem umfassenden therapeutischen Angebot der Klinik an einem üblichen Adipositas-Schulungsprogramm teil (zwei Seminarstunden). Bei der IG wurde letzteres durch das neue BLUNA-Schulungsprogramm ersetzt. Messparameter waren unter anderem die Zusammensetzung der Ernährung der Patienten, Körpergewicht und Bauchumfang, die zu Beginn (t0), am Ende (t1) und sechs Monate nach der Rehabilitation (t2) bestimmt wurden. Als Störfaktoren wurden, Alter, Geschlecht und die Reha-Erwartungen (FREM-17) erhoben. Es wurde zusätzlich eine Aufwandsabschätzung der telefonischen Nachsorge vorgenommen. Die Analysen erfolgten deskriptiv auf der Basis von Mittelwertvergleichen und Anteilswerten. Unterschiede in der Zusammensetzung der Ernährung oder der Veränderung der Körpermaße wurden mittels einfaktorieller Varianzanalyse auf statistische Signifikanz geprüft. Mögliche Einflussgrößen wurden mittels multifaktorieller Modelle bestimmt. Ergebnisse Nach drei Erhebungszeiträumen konnten n=63 der IG und n=76 der KG in die statistische Analyse eingeschlossen werden (Rücklauf: IG 70% bzw. KG 49,7%). Die Personen der Interventions- und der Kontrollgruppe waren mittleren Alters (55,3 Jahre (IG) bzw. 51,8 Jahre (KG), unterschieden sich jedoch hinsichtlich ihrer Geschlechterverteilung statistisch signifikant (61,9% Männer (IG) bzw. 76,6% Männer (KG), (p<0,05). Durchschnittlich betrug das Körpergewicht der Personen zum Zeitpunkt t0 103,1kg (IG) bzw. 108,9kg (KG), das mit einer Körpergröße von 1,75m (IG) bzw. 1,77m (KG) einem durchschnittlichen BMI von 33,8kg/m² (IG) bzw. 34,8kg/m² (KG) entspricht. Unter Berücksichtigung der Kovariate Geschlecht zeigten sich bezüglich der Veränderung der Körpermaße (u.a. Körpergewicht, Bauchumfang und BMI) keine Interventionseffekte. Beispielsweise konnten beide Gruppen zwar während des Klinikaufenthalts 3,0kg ± 2,9SD (IG) bzw. 3,7kg ± 2,4SD Gewicht verlieren und bis zum Zeitpunkt der Katamnese (t2) weitere 4,0kg ± 7,8SD bzw. 2,3kg ± 6,2SD. Jedoch waren diese Unterschiede nicht statistisch signifikant. Hinsichtlich der Ernährungsparameter zeigten sich konstante Werte zu den Messzeitpunkten t0 und t2 und ebenfalls kein Interventionseffekt. Die Erwartung an Erholung während der Rehabilitation erwies sich als Prädiktor für eine geringere Abnahme des Körpergewichts und des BMI in allen Messzeiträumen (t0-t1, t1-t2 und t0-t2). Gleichzeitig waren diese Erwartungen neben der Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit bei den Patienten durchschnittlich am stärksten ausgeprägt. Ferner erwiesen sich ein hohes Eingangskörpergewicht bzw. hoher BMI als starker Prädiktor für eine größere Gewichtsabnahme in allen Messzeiträumen. Diskussion und Ausblick Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass der hohe Grad an Individualisierung und der Fokus auf die persönlichen Essgewohnheiten der Patienten sowohl im Rahmen der Seminare in der Klinik als auch während der Nachsorgetelefonate nicht den erwarteten positiven Effekt auf die Zielparameter hatten. Das Ernährungstagebuch wurde während der Nachsorgemaßnahme nicht mehr genutzt. Ferner bildete sich heraus, dass die Ziele bzw. Vorhaben seitens der Patienten immer allgemeiner und unverbindlicher formuliert wurden. Hinsichtlich der Erwartungen an die Rehabilitation scheint, dass der Fokus der Rehabilitierenden auf Erholung möglicherweise einer aktiven und verbindlichen Änderung von Ernährungsgewohnheiten entgegenstand. Es ist zu überlegen, ob die Motivation und Veränderungsbereitschaft hinsichtlich der Ernährungsgewohnheiten vor bzw. zu Beginn der Rehabilitationsmaßnahme bestimmt werden sollte und wie ein Bewusstsein aller Beteiligten für eine aktivere Therapieatmosphäre nicht nur im Bereich „Ernährung“, sondern auch „Essen und Trinken“ erreicht werden könnte. Gleichzeitig unterstreichen die Ergebnisse der BLUNA-Studie einmal mehr, dass die Veränderung von Ernährungsgewohnheiten ein komplexer Prozess ist – insbesondere, wenn die Lebensverhältnisse weiterhin zugunsten der Nahrungsaufnahme und Bewegungsarmut ausgerichtet bleiben.
  • Introduction While rehabilitative inpatient obesity treatment, sometimes with the addition of aftercare programmes, may help to increase long-term physical activity in obese patients, eating habits and parameters such as weight loss or waist circumference seem to change rarely. This may primarily be due to the fact that eating habits are among the most stable habits and are mainly determined by eating needs that are highly influenced by emotions, biography and culture. At the same time, it has been shown that the intention to act is not the sole determining factor for a change in behaviour. It is rather important to take distractions into consideration, such as everyday habits and temptations or unexpected obstacles, and convert them into smart action planning. Therefore, in treating obesity it seems reasonable to emphasize, in particular, elements of nutrition psychology, health education and behavioral therapy much more than it has usually been the case. One approach in this area is the biographical work whose prerequisite for a substantial change in eating habits is a fundamental understanding of personal behaviour and as it relates to one’s own history of eating. Based on these findings, an education programme for obese patients was developed, called BLUNA for short, based on biographical learning. In addition to elements of knowledge, it particularly also includes obligatory strategies for planning changes in everyday eating habits. Patients are instructed to work on their personal eating habits they themselves select which they believe to play a role in their obesity and to individually plan realistic changes using a food diary. The BLUNA programme consists of three group seminar sessions during rehabilitation, and three semi-structured aftercare telephone calls that are made at monthly intervals after the hospital stay. During the seminars, patients are guided to define personal and precise targets for change. The aim is for the patients to follow their self-determined ‘project’ for four weeks and discuss their success or failure during each phone call with a therapist, in order to then determine how to proceed until the next contact phone call. Material and Methods To investigate the effectiveness of the BLUNA programme, a controlled prospective intervention trial in a rehabilitation clinic was conducted. The control group (CG) n= 158 was recruited from October 2009 to August 2010, while the intervention group (IG) n= 92 was recruited from October 2010 to June 2011. In addition to the usual comprehensive treatment, during the usual three-week hospital stay the CG participated in a standard obesity-education programme (two seminar sessions). For the IG, the latter was replaced by BLUNA. Measurement parameters included the composition of the diet of the patients, body weight and waist circumference, which were determined at the beginning (t0), at the end (t1) and six months after the rehabilitation (t2). As possible interferance factors, age, gender and the patient’s expectation of the rehabilitation (FREM-17) were collected. In addition, an appraisal of the effort made in the telephone aftercare was conducted. The analyzes were performed on the basis of descriptive averaging compare and share values. Differences in the composition of the diet, or change in anthropometrics were tested by one-way analysis of variance for statistical significance. Possible influencing variables were determined by multifactorial models. Results After three study periods, i.e. six months (t2), 63 patients (IG) and 76 patients (CG) participated in the study and were included in the statistical analysis (dropout rate 30% (IG) and 51.3% (CG)). Patients were matched with an average age of 55.3 y (IG) and 51.8 y (CG), body weight of 103.1kg (IG) and 108.9kg (CG) as well as body mass index (BMI) of 33.8 kg/m² (IG) and 34.8 kg/m² (CG) respectively. However, groups differed in terms of gender distribution (61.9% (IG) and 76.6% (CG) men, p<0.05). Taking gender into account as a covariate, results concerning anthropometric parameters did not show any intervention effects. For example, both groups showed weight loss during the rehabilitation (-3.0 ± 2.9 kg (IG) and -3.7 ± 2.4 kg (CG)) and after six months another -4.0 ± 7.8 kg (IG) and -2.3 ± 6.2 kg (CG). However, values did not show statistically significant differences between IG and CG. Regarding nutritional parameters, food protocols for both groups showed consistent values (t0-t2) and no significant differences between groups either. High patient expectation of recreation during rehabilitation was found to be a predictor for a smaller reduction in body weight and BMI in all measurement periods (t0-t1, t1-t2 and t0-t2). At the same time, recreation and regaining physical strength had the highest scores among all patient expectations considered. Furthermore, a high initial body weight or BMI was found to be a strong predictor for a greater weight loss in all measurement periods. Discussion and Conclusion The results of the present study suggest that the high level of individualization and the focus on the patients’ personal eating habits both during the clinical seminars and the aftercare phone calls did not show the expected positive effect on the test parameters. Food diaries were no longer used during the after-care period. Furthermore, patients formulated their objectives and plans in more and more general and non-binding terms over time. With regard to the patient expectations of the rehabilitation, it seems that the patients’ focus on recreation may have inhibited a more active and obligatory change of eating habits. It is worth considering whether both the patients’ motivation and readiness to change in terms of eating habits should be documented before or at the beginning of the rehabilitation, respectively. Furthermore, it should be taken into account how awareness of a more active therapeutic atmosphere - not only in terms of ‘healthy nutrition’ but also ‘food and drink’ - could be created for all concerned. At the same time, the results of BLUNA underline once more that changing eating habits is a complex process – especially if living conditions remain oriented in favour of food intake and physical inactivity.

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Metadaten
Author:Ulla Bley
URN:urn:nbn:de:bsz:frei129-opus-3906
Advisor:Udo Ritterbach
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2012/12/12
Publishing Institution:Pädagogische Hochschule Freiburg
Granting Institution:Pädagogische Hochschule Freiburg, Fakultät für Mathematik, Naturwissenschaften und Technik
Date of final exam:2012/10/26
Release Date:2012/12/12
Tag:Adipositastherapie; Essverhaltensänderung; Gesundheitspädagogik; Rehabilitation; biographisches Lernen
Health education; after-care; biographical learning; change of eating habits; obesity treatment; rehabilitation
GND Keyword:Nachsorge; Adipositas; Essgewohnheit; Rehabilitation
Institutes:Fakultät für Mathematik, Naturwissenschaften und Technik / Institut für Alltagskultur, Bewegung und Gesundheit
DDC class:600 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften / 610 Medizin, Gesundheit
Open Access:Frei zugänglich
Licence (German):License LogoCreative Commons - Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung - CC BY-NC-ND 3.0