Volltext-Downloads (blau) und Frontdoor-Views (grau)
  • search hit 1 of 1
Back to Result List

Grenzüberschreitungen im Leben von Frauen mit Behinderungen Eine qualitative Studie zur Konstruktion von Selbstbehauptungsstrategien im Alltag behinderter Frauen im Kontext grenzüberschreitender Situationen

Boundary crossing in the lives of disabled women A qualitative study on the construction of assertiveness strategies in the daily lives of disabled women in the context of situations in which lines have been crossed

  • In der Forschungsarbeit wird Grenzüberschreitung im doppelten Sinne thematisiert. Es werden behinderte Frauen befragt, die sich in ihrem Alltag behaupten und damit vorgegebene Grenzen überschreiten. Zugleich sprechen sie darüber, dass ihre Persönlichkeitsgrenzen in verletzender Weise überschritten wurden. Die Forschungslage zeigt, dass Frauen mit Behinderung in hohem Maße von physischer und psychischer und/oder sexualisierter Gewalt und Ausbeutung betroffen sind (vgl. Schröttle 2011). Häufig kommen sie in der Kindheit mit - teils subtilen - Grenzüberschreitungen wie z.B. eingreifenden therapeutisch/medizinischen Interventionen in Berührung, so dass es ihnen schwer fällt, sie als solche zu erkennen und zu benennen. Da Fragen nach der Wahrnehmung und Einstellung zur eigenen Behinderung und zum Körpererleben sowie nach den Veränderungen des persönlichen Raumes im Zentrum dieser Dissertation stehen, bietet sich als theoretische Grundlage die Habitustheorie von Bourdieu (1999) an. Mit der Habitustheorie wird gezeigt, dass der Mensch (mit Behinderung) gesellschaftlicher Formung ausgesetzt ist. Daneben gibt er sich selbst eine Form, ordnet sich aktiv in die gesellschaftlichen Verhältnisse ein und besitzt damit die Möglichkeit zur Veränderung. Die Veränderbarkeit oder Stabilität des Habitus ist daher abhängig von den sozialen Verhältnissen. Für die Veränderbarkeit spricht, dass die Normalitätsvorstellungen innerhalb der Gesellschaft nicht konstant sind, d.h. es gibt einen so genannten flexiblen Normalismus (vgl. Link 1997, 75). Es ist daher grundsätzlich offen, welcher Körper als normal, anormal, funktionsfähig oder beeinträchtigt definiert wird. Außerdem können Akte symbolischer Gewalt, wie Bourdieu sie beschreibt (vgl. 1998, 173f.), Grenzüberschreitungen sein und geschehen unbemerkt während der Erbringung von Unterstützungsleistungen. Um die Sichtweisen und Deutungen der behinderten Frauen zu ihren Erfahrungen und ihrem Körpererleben darzustellen, leiteten folgende Fragen den empirischen Forschungsprozess: - Welche subjektiven Deutungen bezüglich der eigenen Wahrnehmung ihrer Behinderung lassen sich bei den Frauen finden? - Wie äußern sich gesellschaftliche Bedingungen, wie bspw. Reglementierungsmechanismen, Normalisierungsdruck und Formen pädagogischer Disziplinierung, in den Deutungen der Frauen? - Welche Konflikte und Problemlagen lassen sich im Zusammenhang mit Therapien und medizinischer Versorgung erkennen? Es wurden 10 Interviews mit 10 Frauen über einen Zeitraum von zwei Jahren geführt. Die Interviews erfolgten leitfadengestützt in halb-strukturierter Form entlang der Biographie. Die Interviewpartnerinnen wurden maximal variiert – bspw. im Hinblick auf ihr Alter, die körperliche Behinderung und den Unterstützungsbedarf. Die Auswertung der Interviews erfolgte auf der methodologischen Basis der „Qualitativen Heuristik“ nach Gerhard Kleining. Die Ergebnisse münden in ein von der Forscherin entwickeltes Ergebnisstrukturmodell, welches in einer Kreisbewegung einen offenen sich wiederholenden Prozess darstellt. Forschungsleitend war die Aufschlüsselung grenzüberschreitender Situationen. Ausgehend von der (Erst-) Wahrnehmung der eigenen Behinderung als zentrale Kategorie kommt es zu einem Kreislauf aus Veränderungs-, Lenkungs- und Erzeugungsprozessen. Frauen mit einer sichtbaren Körperbehinderung inkorporieren eine Signatur als ein zusammengesetztes und neutrales Zeichen in ihren elastischen Habitus. Im Sinne Bourdieus kann die Behinderung eine Disposition sein, die zwar beständig, aber nicht unveränderbar von außen ist. Die Beständigkeit des veränderten Körpers ist dabei immanent, die Signatur ist von Interaktiven Prozessen geprägt und kann flexibel gedacht werden. Die empirischen Ergebnisse, die für einen begrenzten Ausschnitt der sozialen Wirklichkeit Geltung haben, zeigen, dass grenzüberschreitende Situationen und ihre fortwährende Auseinandersetzung damit zu einem kontinuierlichen Zuwachs von Selbstbestimmung führen können. Die Frauen wachsen am Widerstand, der ihnen als Grenze in Form von Reglementierungsmechanismen und gesellschaftlichem Normalisierungsdruck entgegenkommt. Dazu nutzen sie individuelle Bewältigungsstrategien zur Selbstbehauptung sehr bewusst und überschreiten als Folge im Sinne Bourdieus Feldgrenzen. Vor dem Hintergrund einer weitgehend stabilen ökonomischen Absicherung, einer sicheren Rücklage aus sozialem und kulturellem Kapital hat sich bei ihnen eine dauerhafte Kraftreserve gebildet. Diese Arbeit wird als Beitrag zur Diskussion zu einer körpersoziologischen Forschungsperspektive auf das Thema Behinderung verstanden. Dazu ist der Habitus-Ansatz Pierre Bourdieus ein überzeugendes Erklärungskonstrukt. Ebenso setzt die Arbeit erste Impulse, partizipatorische Forschungsansätze in Bezug auf Frauen und Männer mit Behinderungen in Zukunft stärker zu verfolgen.
  • In the course of this research, 'crossing boundaries' is thematised in the dual sense of the term. Disabled women who are assertive in their daily lives and thus practised at crossing specified boundaries, were interviewed. At the same time, they speak about the ways in which the boundaries of their personalities have been crossed in the sense of transgression. The current state of research show that disabled women and girls are highly affected by physical, psychic and/or sexualised violence and exploitation (cf. Schröttle 2011). They have often been exposed to crossing boundaries – sometimes very subtle instances – in their childhoods, via invasive therapeutic/medical interventions, for example, and therefore, find it difficult to recognise such acts and designate them as such. Because questions regarding their perceptions and attitudes toward their own disability and the way they experience their bodies, as well as the limitations and changes in personal space are the focus of this dissertation, Bourdieu's habitus theory (1999) serves as an ideal theoretical basis. The habitus theory shows that people (with disabilities) are formed by society. We also give ourselves a form and actively integrate into the social structures within we live, which means we – including people with disabilities – possess the option of changing. What speaks in favour of convertibility is, that the concept of normality held by society is not constant, meaning that so-called flexible normalism does exist (cf. Link 1997, p. 75). This is why the question of which bodies should be designated as normal, abnormal, capable of functioning or impaired is basically open. In addition, acts of symbolic violence as described by Bourdieu (cf. 1998, p. 173 et seq.) could be boundary crossings, yet be overlooked if they occur in the course of providing support services. In order to represent the viewpoints and interpretations of disabled women with regard to their experiences in general and how they experience their bodies in particular, the following questions provided the guidelines for the empirical research process: - Which subjective interpretations with regard to their own disability were found among the women? - How do social conditions such as control mechanisms, normalisation pressure and forms of pedagogic discipline manifest themselves in the interpretations of the women? - Which conflicts and issues are detectable in the context of therapy and medical care? A total of 10 interviews were conducted with 10 women over a period of two years. The interviews were partially standardised in a semi-structured form that parallels the partner's biography. The interview partners were as varied as possible – with regard to their age, physical disability and need for support, for example. The interview results were assessed based on the qualitative heuristics method according to Gerhard Kleining. The findings are fed into a results structure model developed by the researcher, which represents a continuous, open loop process. The research question was to categorise the situations in which borders are crossed. Based on the (initial) perception of one's own disability as the first category, which is the hub around which the influential factors rotate, a cycle of change, management and generation processes emerges. Women with a visible physical disability incorporate a signature as a conglomerated, neutral sign in their flexible habitus. Signatures, the majority of which relate to the body in this study, play an important role in habitus development. In the process, the permanence of the changed body is intrinsic, the signature, however, is shaped by interactive processes and can be conceived of as flexible. The empirical results, which are valid for a limited section of social reality, show that situations in which borders are crossed and the constant engagement with them can lead to a continual increase in self-determination. The women grow in the face of resistance that encounters them in the form of control mechanisms and normalisation pressure. In addition, they employ individual coping strategies toward self-assertion very consciously and, as a consequence, exceed field limits as defined by Bourdieu. Against the background of, for the most part, stable economic security, a safeguarded reserve of social and cultural capital has left them with a sustainable reservoir of power. This work is intended to be understood as a contribution to the discussion about a research perspective for the subject of disability based on the sociology of the body. Pierre Bourdieu's habitus approach is a persuasive explanatory construct. This work also provides an initial impetus for following participatory research approaches with regard to women and men with disabilities with more dedication in future.

Download full text files

Export metadata

Additional Services

Search Google Scholar

Statistics

frontdoor_oas
Metadaten
Author:Dagmar Kubanski
URN:urn:nbn:de:bsz:frei129-opus-4149
Advisor:Gabriele Sobiech
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2013/03/12
Publishing Institution:Pädagogische Hochschule Freiburg
Granting Institution:Pädagogische Hochschule Freiburg, Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften
Date of final exam:2012/09/28
Release Date:2013/03/12
Tag:Grenzverletzung; Heuristik; Körperbehinderung; Selbstbestimmung; Therapie
boundary crossing; handicap; self-assertion; therapy
GND Keyword:Habitus; Grenzüberschreitung; Selbstbehauptung; Behinderung
Institutes:Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften / Institut für Sportpädagogik und Sport
DDC class:300 Sozialwissenschaften / 300 Sozialwissenschaften, Soziologie, Anthropologie
Open Access:Frei zugänglich
Licence (German):License LogoCreative Commons - Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung - CC BY-NC-ND 3.0