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Urteilsverzerrungen beim Diagnostizieren von Fehlkonzepten bei Dezimalbrüchen

Judgment Bias in Diagnosing Misconceptions with Decimal Fractions

  • Zusammenfassung Fehlkonzepte von Lernenden zeigen sich als wiederkehrendes Muster bei der Lösung vergleichbarer Aufgaben. Dabei kann ein systematisch auftretender Fehler nicht immer direkt und eindeutig auf ein Fehlkonzept zurückgeführt werden. Diese akkurate Diagnose ist allerdings notwendig, wenn eine Lehrkraft adaptiven Unterricht durchführen möchte. Für eine akkurate Diagnose müssen diagnostisch relevante Informationen z. B. aus (fehlerhaften) Aufgabenlösungen verarbeitet werden. Bei der Informationsverarbeitung können kognitive Verzerrungen (sog. biases ) auftreten; konkret kann die Mehrdeutigkeit der Situation unberücksichtigt bleiben und die nachfolgende Informationsverarbeitung (die Auswahl weiterer Aufgaben und die Interpretation ihres Diagnosepotenzials) nur im Sinne eines angenommen Fehlkonzeptes durchgeführt werden. Die vorliegende Studie untersucht diese Urteilsverzerrung bei diagnostischen Urteilen von angehenden Lehrkräften ( N  = 79) auf der Ebene der Informationsverarbeitungsprozesse. Zudem wird der Einfluss der Präferenz für Deliberation der urteilenden Person auf diese Informationsverarbeitungsprozesse und deren mögliche Verzerrung untersucht. Die teilnehmenden Personen bearbeiteten fünf Fallvignetten, in denen sie jeweils mit einer fehlerhaften Lernendenlösung aus dem Bereich Dezimalbruchvergleiche konfrontiert wurden und aufgefordert waren, eine eindeutige Diagnose des vorliegenden Fehlkonzepts zu erstellen. Dazu sollten erste Diagnosehypothesen erstellt und anschließend weitere Aufgaben ausgewählt werden, welche die zu diagnostizierenden Lernenden lösen. Die zur Auswahl stehenden Aufgaben unterschieden sich in ihrer diagnostischen Relevanz. Auf der Grundlage der beschriebenen Modellierung der Urteilsprozesse konnten mit den erhobenen Daten Kategorien der Informationsverarbeitung und der kognitiven Verzerrung ( confirmation bias ) identifiziert und statistisch unterschieden werden. Als Prädiktor für eine hohe Urteilsakkuratheit konnte die Verarbeitung relevanter Informationen im Laufe des Diagnoseprozesses, nicht aber die Wahrnehmung der Mehrdeutigkeit der Urteilssituation zu Beginn des Prozesses identifiziert werden. Eine Präferenz für deliberate, also bewusst informationsintegrierende Entscheidungen als Personenmerkmal wirkte sich positiv auf die Anzahl formulierter Mehrfachhypothesen aus, hatte allerdings keinen Einfluss auf die Informationssuche und die Akkuratheit der Enddiagnose. Die Ergebnisse liefern erste Hinweise auf den Einfluss der Urteilsverzerrung bei Urteilen von angehenden Lehrkräften und geben Impulse für die weitere Forschung zum diagnostischen Denken. Daher werden abschließend mögliche Interventionen zur Reduktion von Urteilsverzerrungen bei angehenden Lehrkräften diskutiert.
  • Abstract Learners’ misconceptions often manifest as recurring patterns when solving comparable tasks. Yet, a systematic error cannot always be directly and unambiguously attributed to a misconception. However, such accurate diagnosis is necessary if a teacher wants to implement adaptive instruction. To achieve accurate diagnosis, diagnostically relevant information must be processed. During information processing, cognitive biases may arise. Specifically, individuals may overlook the ambiguity of the situation and proceed to select further tasks and interpret their diagnostic relevance based solely on one misconception. The present study examines the presence of these judgment biases in the diagnostic judgments of prospective teachers ( N  = 79) by analysing how they process the information. In addition, the influence of the person’s preference for deliberation on information processing and possible judgment biases is examined. The participants worked on five case vignettes in each of which they were confronted with an incorrect student solution in decimal fraction comparisons and were asked to make an unambiguous diagnosis of the misconception at hand. For this purpose, they generated initial diagnostic hypotheses and selected further tasks which the learner to be diagnosed would solve. The diagnostic relevance of the available tasks differed systematically. Based on the described model of judgment processes, it was possible to categorize information processing and cognitive bias (confirmation bias) with the collected data. In our study, high judgment accuracy could be predicted through the processing of relevant information during the diagnostic process, but not through the perception of the ambiguity in the judgment situation at the beginning of the process. A preference for deliberate decision, i.e., a tendency to consciously integrate information, as a person characteristic had a positive effect on the number of formulated multiple hypotheses but had no effect on the selection of tasks and the accuracy of the final diagnosis. The results provide initial evidence on the impact of judgment bias in teacher judgments and provide impetus for further research on diagnostic thinking. Therefore, we conclude with a discussion of possible interventions to reduce judgment bias in prospective teachers.

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Metadaten
Author:Andreas RieuORCiD, Timo LeudersORCiD, Katharina LoiblORCiD
URN:urn:nbn:de:bsz:frei129-opus4-34351
DOI:https://doi.org/10.1007/s13138-024-00231-x
ISSN:0173-5322
ISSN:1869-2699
Parent Title (German):Journal für Mathematik-Didaktik
Publisher:Springer Berlin Heidelberg
Place of publication:Berlin/Heidelberg
Document Type:Article
Language:German
Date of first Publication:2024/06/01
Release Date:2025/03/31
Tag:Diagnostische Kompetenz; Fehlkonzepte bei Dezimalbrüchen; Kognitive Prozesse; Urteilsverzerrungen
Cognitive processes; Diagnostic competence; Judgement bias; Misconceptions about decimal fractions
GND Keyword:-
Volume:45
Issue:1
Open Access:Frei zugänglich
Licence (German):License LogoCreative Commons - CC BY - Namensnennung 4.0 International