TY - THES U1 - Dissertation / Habilitation A1 - Schmalhofer, Helen T1 - Das linguistische Wissen der Kinder am Anfang des Schrifterwerbs Untersuchung zur Aneignung der Schrift im 1. und 2. Schuljahr unter Berücksichtigung phonetisch-phonologischer Modellierungen N2 - Viele Aspekte der Lese-Rechtschreibschwierigkeiten der Kinder sowie ihre „Fehl“-Schreibungen verweisen nicht auf medizinisch-psychologisch bedingte „Störungen im Kind“, sondern auf einen ursächlichen Zusammenhang mit gesprochener und geschriebener Sprache. Aus sprachlich orientierter Perspektive betrachtet erscheinen ihre Fehler als ein „Wissen“ um Sprache. Diese Beobachtung führt zur Konzeption einer Untersuchung, deren zentrales Anliegen die Erforschung des sprachlichen Wissens und der Fragen der Kinder in Zusammenhang mit ihren ersten Schreibungen ist – orientiert an einer sprachwissenschaftlichen Beschreibung und Einordnung. Das Erkenntnisinteresse gilt dem Zusammenhang zwischen den Fehlern in den Schreibungen und dem sprachstrukturellen bzw. beginnenden schriftstrukturellen Wissen der Kinder, das sie in ihrer Sprachanalyse und Verschriftung zum Ausdruck bringen. Theoretische Basis der Untersuchung ist eine phonetisch-phonologische Modellierung des Deutschen (Maas 1999 / Röber 1998c, 2000a), die Schrift als Repräsentation phonologischer Strukturen und nicht als lineare Kette von Buchstaben in Abbildung einer Lautkette betrachtet. Die Aneignung von Schrift wird sowohl qualitativ wie quantitativ untersucht. Die qualitative „Pilotuntersuchung“ fokussiert die sprachliche Ausgangssituation von Kindern am Anfang des Schrifterwerbs (Untersuchung von 10 Kindern im Kindergarten) sowie die Analysen ihrer gesprochenen Sprache im Prozess des ersten Verschriftens (Prozessbeobachtung in einer 1. Klasse mit 21 Kindern). Die quantitative „Hauptuntersuchung“ (klassenweise erstellte Verschriftung von Bilderlisten in sechs 1. Klassen mit insgesamt 109 Kindern, durchgeführt in drei Durchgängen von November bis April des Schuljahres) dient der Verifizierung der Prozessbeobachtungen. Die Wörter der Bilderlisten, die den Kindern vorgelegt werden, sind so gewählt, dass alle für die deutsche Sprache typischen Wortbetonungsmuster darin vorkommen. Die 15501 Wortschreibungen werden mit SPSS erfasst, die Ergebnisse in Form von Tabellen und Diagrammen dargestellt. An Hand der Ergebnisse wird die Bedeutung der linguistischen Perspektive für den Schrifterwerb, und in diesem Zusammenhang vor allem für den Umgang mit Auffälligkeiten, die als Lese-Rechtschreibschwierigkeiten interpretiert werden, dargestellt. Der Perspektivenwechsel – weg vom defizitären Blick auf „Fehl“-Schreibungen hin zur linguistischen Beschreibung – kann dazu beitragen, den Einblick in die komplexen Aufgaben, die Kinder bei der Aneignung schriftsprachlicher Strukturen zu leisten haben und die Rolle, die Unterricht dabei spielt, zu vertiefen. Durch die Einbeziehung aller Kinder einer Klasse, von den Kompetenzstufen 1 der Fortgeschrittenen bis zu den Kompetenzstufen 4 der Anfänger, führen die Ergebnisse schließlich zur Diskussion der Annahme vom „linguistischen Wissen der Kinder“: Kinder von Kompetenzstufe 1 und 2 präsentieren bereits im November orthographische Schreibungen, Kinder von Kompetenzstufe 3 und 4 erst sehr viel später. Die Verschriftungen können zeigen, dass erstere sich früh vom genauen Analysieren ihrer gesprochenen Sprache lösen und sich die schriftrelevanten Strukturen offensichtlich über die Auseinandersetzung mit Schrift aneignen. Letztere verbleiben auf der Ebene der genauen Sprachanalyse. D. h. ihre Fähigkeit und Bereitschaft zur präzisen Wahrnehmung des Gesprochenen – auch im Sinne der Forderungen des Unterrichts – scheinen in eine Sackgasse zu führen. Das sprachliche Wissen der Kinder alleine gewährleistet keinen erfolgreichen Schrifterwerb. Dieses Ergebnis relativiert die Annahme vom „linguistischen Wissen der Kinder“ und wirft schrifterwerbstheoretische und schriftdidaktische Fragen auf. Es kann darauf hinweisen, dass für eine gelingende Aneignung von Schrift das sprachliche Wissen zum Aufbau von Schrift-Wissen genutzt werden muss. Kindern der Kompetenzstufen 3 und 4 gelingt dies – im Verhältnis zu Kindern der Kompetenz-stufen 1 und 2 – nur relativ langsam. Nicht wenige von ihnen scheinen auf qualifizierte Hilfe durch Unterricht angewiesen zu sein. Es kann verdeutlichen, dass Lehrende ein fundiertes linguistisches Wissen brauchen, um das „linguistische Wissen der Kinder am Anfang des Schrifterwerbs“ sach-adäquat aufgreifen und analysieren zu können, um allen Kindern, vor allem denjenigen, die den im Schrifterwerb notwendigen Aufbau von Schrift-Wissen nicht von Beginn an „von selbst“ leisten können, über geeignete Darbietungen den Weg zu einem sicheren sprachstrukturierten Schrifterwerb zugänglich machen zu können. N2 - Many aspects of reading and spelling difficulties in children, and also their “spelling errors”, do not refer to medically and psychologically based disor-ders in the child, but have a causal relationship with spoken and written language. From a linguistical view, their mistakes appear as a "knowledge" of language. This observation is the starting point of the present study and leads to the focus on the process of how the child develops a knowledge of spelling. Central to this research is the exploration of the linguistic knowledge and children’s questions associated with their first spellings – based on a linguistic description and classification. The main interest is on the relationship between the errors in children’s spellings and their first steps in the structural knowledge of the written system, which becomes obvious in their analysis and tran-scription of analysis. The formation of the first spellings is studied by using qualitative and quantitative methods - in the context of the current curriculum that follows a linear model of the relationship between language and writing - from a linguistic perspective. A phonetic-phonological modeling of German (Maas 1999 / Röber 1998c, 2000a) is the basis for the exploration of the children’s linguistic starting point at the beginning of their acquisition of written language (study of 10 children in a kindergarten) for the analyses of their spoken language in the process of their first spelling (observation of the process in a first grade with 21 children) and for the quantitative evaluation of the writing of words in picture lists, which are produced class-wise, to verify the process observations (main survey in six first grades with a total of 109 children, performed in three passages from November to April within a school year). The concept considers the writing system as a representation of phonological structures and not as a linear chain of letters in mapping a sound chain. The words in the picture lists that the children have to write are selected in order to contain all the typical word stress patterns of the German language. The 15 501 word spellings are recorded with SPSS; the results are presented in tables and graphs. On the basis of the results, the importance of the linguistic perspective on the acquisition of writing, and, in this context, especially the dealing with pe-culiarities that are interpreted as reading and spel-ling difficulties, are presented. The changing per-spective can contribute to deepening the insight into the complex tasks children have to perform in the acquisition of written language structures. The participation of all the children of a grade, from the advanced level 1 to the beginner level 4, can help to shed new light on the role that instruction plays: While children at competence levels 1 and 2 change early from precisely analyzing their spoken language to acquiring the writing - related structures through dealing with written language, children at competence levels 3 and 4 remain at the level of analysis of their spoken language for far too long. Their ability and readiness to precisely cognize their spoken language – in this practice following the demands of instruction – seems to prove to be a blind alley. That means that children’s linguistic knowledge alone does not guarantee successful spelling acquisition. To be used for a successful acquisition of written language, linguistic knowledge has to be built up to literacy knowledge. Children at levels 3 and 4 perform in this skill relatively slowly, in comparison with children at levels 1 and 2. Not a few of them are dependent on assistance by qualified tuition. This result mitigates the adoption of "linguistic knowledge of children" and raises issues on theories of writing acquisition and writing education. It may make clear that teachers need a profound linguistic knowledge in order to comprehend and analyze in an adequate way the "linguistic knowledge of children at the beginning of reading and writing", to make it possible for all children to follow the goal towards an assured structured written language through appropriate presentations to all of them, especially to those who require intensive support for the development of their literacy skills. KW - Schrift KW - Schriftlichkeit KW - Schreiben KW - Phonetik KW - Nichtlineare Phonologie KW - Struktur KW - Entwicklung KW - Legasthenie KW - Schrifterwerb KW - Phonetisch-phonologische Modellierung des Deutschen KW - Schreibprogression KW - Schriftwissen KW - Wortstruktur KW - linguistic knowledge KW - linguistic factors KW - spelling development KW - phonetic KW - phonology Y2 - 2010 U6 - https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:frei129-opus-3882 UN - https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:frei129-opus-3882 ER -